Wer sind die Unsichtbaren Mauretaniens?
- Alina Kraft
- 2. Sept. 2023
- 4 Min. Lesezeit
Mauretanien- ein Land, welches wir nur für ein paar Tage besuchten und doch hinterließ es bei mir einen so bleibenden Eindruck wie bis jetzt noch kein anderes Land zuvor. Der Grenzübertritt von Marokko nach Mauretanien war zeitaufwendig und kräftezehrend. Insgesamt dauerte das Prozedere 7 h. Wir durchliefen Zoll, Visa und Polizeikontrollen und versuchten die Fixer, welche für uns gegen Geld des Papierkram erledigen wollten, abzuwimmeln. Der Weg nach Nouadhibou ähnelte der Westsahara - rechts und links Wüste und Sand - nichts besonderes. Das änderte sich mit dem Anfang der Stadt schlagartig. Jetzt sind wir wohl in Afrika dachte ich mir… Ziegen am Straßenrand fraßen Plastikbeutel aus Mülltonnen, die Stadt roch nach Müll, gammligem Fleisch, Fisch… sehr intensiv! Wir sahen im Gegensatz zu Marokko und der Westsahara fast ausschließlich Schwarzafrikanische Menschen, welche an der Straße saßen, ins Leere schauten, nach Geld bettelten oder herumwuselten. Alles erschien ungeordnet, niemand saß und trank Tee, wie wir es bisher erlebten. Die Menschen schauten mich an, als hätten sie noch nie eine blonde Frau gesehen (…was im Touristenärmsten Land nicht so abwegig ist). Hier winkte und lächelte uns niemand zurück, ich sah fast nie spielende - sondern nur bettelnde Kinder. Es herrschte eine depressive Stimmung, welche ich so noch nirgends erlebte… Wir wollten eh nur kurz Geld in der Landeswährung Ouguiya holen. Also irrten wir durch die Stadt, klapperten Automat für Automat ab und mussten frustriert feststellen, dass wohl keiner Bargeld ausspucken würde… Am Abend dampfte dann zu unserer Freude der Iron-train an unserem Schlafplatz hinter einer Düne vorbei. Der über 2 km lange Zug fährt jeden Tag über 700km in die Wüste, um Eisenerze nach Nouadhibou zu transportieren und dient nebenbei auch als Personentransport (wenn auch nicht als ein Sicherer). Mauretanien zählt zu den einkommensschwächsten Ländern überhaupt. Bis auf die Förderung von Erdöl und Eisen gibt es keine größeren Wirtschaftszweige. Die Einkommensverteilung ist hier sehr ungleichmäßig. In vielen Teilen des Landes herrscht Armut. Auf unserer Route durch das Land passierte landschaftlich nicht viel. Sandwüste, die mir noch karger, noch trockner und noch heißer erscheint. So weit das Auge reicht. Wie kann ein Mensch hier überleben? Mitten in der Wüste - bei 46 Grad in einer kleinen Hütte aus Steinen und Stoff? Einige Menschen schliefen in Verschlägen aus Autoreifen, über welche sie ein Tuch legten. Eines Nachts erlebten wir einen Sandsturm und kann mir nur vorstellen wie es den Menschen in solchen Momenten ohne Schutz ergeht. Die Mauretanier begegneten uns teilweise interessiert, oftmals auch skeptisch. Scharen kleinerer Kinder und Jugendliche erkannten uns schon von weitem, liefen zu uns auf die Straße und bettelten nach Geld, Essen und Geschenken. Bei jedem Vorbeifahren sah ich enttäuschte Kindergesichter im Rückspiegel und mein Gewissen plagten diese Anblicke. Die Männer, Frauen und Kinder scheinen keine Aufgabe zu haben, wartend sitzen sie mit gesenkten Köpfen am Straßenrand und mich bedrücken diese ganzen Eindrücke hier sehr. Einige Kinder arbeiteten auf dem Markt oder zogen mit Ziegen und Kamelen durch die bitterheiße Wüste. Oft hielten wir an, um ihnen die Flaschen aufzufüllen. Leider ist Kinderarbeit, erzwungene Arbeit und Sklaverei in einigen Teilen Mauretaniens immer noch ein großes Problem. Studien schätzen, dass 15 Prozent der mauretanischen Bevölkerung versklavt sind. Damit wäre rund jeder 5. ist in Sklaverei involviert. Moderne Sklaverei hat verschiede Formen: illegale Werkstätten, erzwungenes Betteln oder erzwungene Prostitution. Obwohl die Regierung die Sklaverei 1981 offiziell verboten hat und 2007 Sklaverei als Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingestuft wurde, wird sie aufgrund der schwachen Rechtsdurchsetzung weiterhin praktiziert. Eine Vielzahl der Kinder ist nicht registriert und wächst unter dem Radar der Sklavenhalter auf - seit Generationen unsichtbar… Kinder und Frauen, welche in solchen Verhältnissen aufwachsen, sind schlichtweg zu unselbstständig um sich von dieser Abhängigkeit zu lösen. Oftmals bestreben sie sich zu entfliehen oder werden befreit, kommen jedoch alleine schlichtweg nicht zurecht, enden in der Armut und suchen wieder Schutz bei ihren Sklavenhaltern. Hier würden Netzwerke helfen, um diesen Menschen nach der Befreiung aufzufangen. Die Organisation SOS- Esclaves, welche sich aus einem ehemaligen Versklavten und seinem Sklavenhalter in Mauretanien bildete, setzt sich für die Förderung der Rechte von Betroffenen ein und arbeitet an der Ausrottung von moderner Sklaverei. Daneben werden Opfer unterstützt und Aufklärungsarbeit geleistet. Für mich ist dennoch unklar, wie solche Missstände heutzutage unter dem Radar weiterlaufen können… Auf der Website findet ihr mehr Informationen über Sklaverei und Möglichkeiten die Organisation zu unterstützen. https://sos-esclaves.com Dennoch hat auch Mauretanien ein schönes Ende dieses Blogs verdient und ich fasse meine 3 liebsten Momente kurz zusammen: Das Ambiente zwischen Sanddünen im Sonnenuntergang ist magisch, ebenso der Sternenhimmel mitten im Nichts. Menschenleere Buchten mit weißem Sandstrand verwandelten sich in unseren privaten Kitestrand. Und auf einmal, nach knapp 2000 Wüste im Süden Mauretaniens wurde es wieder grün, es roch nach Erde, frischem Gras und Kräutern. Kleine Schweinchen suhlten sich im Schlamm und auch das Zwitschern der Vögel war wieder ein neues und doch so vertrautes Geräusch in unseren Ohren. Mit ganz unterschiedlichen Stimmungen, Endrücken und Bildern verließ ich Mauretanien und werde diese noch eine Weile im Kopf behalten.
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